Libellenfänger by Brandis Katja

Libellenfänger by Brandis Katja

Autor:Brandis, Katja [Brandis, Katja]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Fahrenheitbooks
veröffentlicht: 2015-05-03T16:00:00+00:00


»Meine Mutter war im Gefängnis«, sagte ich einfach. »Und ich mit ihr, als ich noch klein war – in einer Mutter-Kind-Abteilung.«

»Cool«, entfuhr es Marek. Er sah wohl meinen entgeisterten Blick, denn gleich darauf ruderte er zurück. »Ich meine, cool ist wahrscheinlich das falsche Wort, ich meine, im Knast ist es bestimmt nicht lustig. Aber jetzt mal ehrlich, ich finde das total spannend, wie lange warst du denn dort, kannst du dich noch daran erinnern?«

Das mit dem »cool« war ihm herausgerutscht, ganz spontan, und ich war ihm so dankbar dafür. Und schon stürmten die Bilder wieder auf mich ein. Zehn Frauen. Zehn Kinder. Nicht mehr. Manchmal weniger – hin und wieder war jemand fast von einem Tag auf den anderen weg. Meine Mutter versuchte mir zu erklären, dass sie jetzt wieder woanders leben durften, aber ich wollte es nicht verstehen. Sobald ich zählen konnte, zählte ich an jedem Morgen durch, ob noch alle da waren. Obwohl ich längst nicht alle mochte, eine schwarze Frau stritt oft mit den anderen, und meine Mutter wurde dann immer ganz still. Einer weiteren Frau gingen wir ganz aus dem Weg.

»Was hatten die anderen Mütter so angestellt? Hast du das später herausbekommen?« Marek wirkte noch immer völlig fasziniert.

Ich nickte, Valentina hatte mir etwas darüber erzählt. »Einige Frauen waren wegen Drogengeschichten da. Andere wegen Betrug oder Diebstahl. Oder weil sie ihren Männern bei irgendwelchen Coups geholfen hatten. Manchmal wurden sie überraschend begnadigt oder ihre Haftzeit wegen guter Führung verkürzt, deshalb waren sie fast ohne Ankündigung weg.«

»Und … deine Mutter?«

Jetzt war es gleich vorbei mit der Coolness. Ich versuchte nicht mehr, mich davor zu drücken. »Du hast nach dem Wort gefragt, das meine Mutter sich gegeben hat«, sagte ich. »Mörderin. Das Wort war Mörderin.«

»Uff«, sagte Marek nur, und jetzt starrte er mich doch noch an – auf diese schockierte Art, mit der ich schon die ganze Zeit gerechnet hatte.

»Verurteilt wurde sie wegen Totschlags im minder schweren Fall«, versuchte ich, so ruhig ich konnte, zu erklären. »Sie hat ihren Mann umgebracht, der sie misshandelt hat.« Meine Stimme begann auf dämliche Weise zu schwanken, ich konnte nichts dagegen tun. »Und du musst jetzt nichts sagen. Bitte nicht, okay? Ich glaube, ich würde jetzt gerne nach Hause fahren.«

»Klar, äh, auf jeden Fall«, stammelte Marek.

Schweigend fuhren wir den Computer herunter, schweigend schlossen wir den Raum ab und gingen zum Ausgang der Schule. Dann standen wir draußen vor dem Eingang – es hatte aufgehört zu regnen, aber ein eisiger Wind pfiff uns entgegen, zerrte an meinen Locken. Meine Großmutter hatte mir wieder ihr Rad geliehen, weil weder sie noch ich wollten, dass ich nachts zu Fuß unterwegs war. Es stand bei den Parkplätzen. Schon beim Gedanken, durch die Nacht heimzuradeln, ballte sich in meinem Magen die Angst. Aber Geld für ein Taxi hatte ich keins. Ich wollte mit einem »Tschüss« losgehen, es gab nichts mehr zu sagen.

Doch dann streckte Marek plötzlich die Hand aus, griff mich an der Jacke, zog mich behutsam zu sich. Streckte die Arme nach mir aus. Und dann umarmten wir uns ganz fest.



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